DER TOD WARTET NICHT


Kapitel 1 - Der Tod sucht nicht -


- XVI -


Die beiden Freunde folgten Farengar in die Hallen der Toten. Auch der erste Verzauberer von Weißlauf konnte nichts Nennenswertes dazu beitragen, was den beiden Gefährten hilfreich gewesen wäre. Aber dass es nicht mit rechten Dingen zuging, konnte er zumindest bestätigen. Dass eine Waffe so einfach aus dem Nichts kam, konnte nur mit Magie zusammenhängen. Es musste nicht unbedingt schwarze Magie sein, das wäre auch mit normaler Magie möglich. Auch ein hochbegabter Kenner der Alchemie wäre dazu imstande. Aber die schwarze Zauberkunst würde mehr dafür sprechen und auch besser zu der Tat passen. Magie, in welcher Art auch immer angewendet, diente nicht nur zum Schutz, sie konnte auch beträchtlichen Schaden verursachen. Nicht umsonst bezeichnete man Leute mit solchen Fähigkeiten als Abnormale. Als etwas Furchterregendes, um das man lieber einen großen Bogen machte.


Als sie die unterirdischen Katakomben betraten, fröstelte Cidius leicht. Auch Faendal spürte die Kälte. Der erste Verzauberer merkte das Unbehagen seiner Begleiter und meinte: „Diese Kühle kommt vom Fluß unter uns, damit können wir die Leichen gut konservieren und das verhindert ein zu schnelles Verwesen. Das hilft uns sehr, um weiter Ursachenforschungen zu betreiben. Somit konnte ich auch Proventus untersuchen.“

Farengar öffnete eine weitere Tür und bat seine Besucher einzutreten. Der Raum war nicht groß, in der Mitte war ein großer eherner Block zu sehen, welcher einem Altar glich. Darauf lag der Leichnam des Vogts. Der Magier hatte recht in Bezug auf die Kälte dieser Katakomben, denn der Leichnam sah aus, als ob er erst gestern getötet wurde. Auch hielt sich der Verwesungsgeruch in Grenzen, beziehungsweise war er kaum wahrnehmbar. Alle trat zu dem Toten, Farengar ging auf die andere Seite, zog sich Handschuhe an und holte einen eigenartig aussehenden langen Dolch vom Tisch. Im Schein der Fackeln konnten nun beide die Waffe sehen.

„Ich würde Euch ja gern erlauben, den Dolch selbst zu betrachten, aber ohne entsprechenden Schutz wäre das zu gefährlich.“

Farengar ging daraufhin zu Cidius und Faendal, und unter dem Schein einer großen Fackel betrachteten beide die bemerkenswert aussehende Waffe. Mehrere detaillierte Totenköpfe zierten den Griff und den Handschutz.

„Ich denke mal Farengar, dass die Klinge der Waffe vergiftet ist.“

Faendal erkannte dies an der grünlichen Erscheinung auf dem silbernen Metall der Klinge.

„Sehr gut beobachtet! Ich konnte bis heute nicht die Zusammensetzung dieses Giftes feststellen. Der Mörder ist wirklich gut und äußerst einfallsreich. Er wollte absolut sichergehen. Schon allein, wie der Dolch ins Genick des Opfers eindrang, hätte tödliche Auswirkungen gehabt. Er durchschlug glatt den Halswirbel. Das Gift war nur die Absicherung, dass der Tod auch wirklich eintreten würde. Aber, wie gesagt, es ist mir vollkommen unbekannt. Habe auch die ansässige Alchemistin zurate gezogen, allerdings konnte sie sich auch keinen Reim darauf machen. Also wer dies getan hat ist ein wahrer Meister seines Fachs. Zumindest hat er hervorragende Helfer, die ihm dieses Gift herstellen. Auch ist die Herkunft der Waffe absolut unbekannt. Noch nie hat jemand solch einen Dolch gesehen. Selbst der alte Schmied der Himmelsschmiede kennt diese Waffe nicht. Und er ist ein absoluter Meister seines Handwerks und Kenner des Metalls!“

Farengar schüttelte nur noch den Kopf, als er den Dolch wieder da ablegte, wo er ihn aufgenommen hatte. Auch entledigte er sich wieder seiner Schutzhandschuhe.

„Dem ersten Anschein nach ist es keine Waffe der Nord, denn ihre Waffen zieren keine Totenköpfe. Sie würden nie so ein Kunstwerk im Kampf einsetzen. Zumindest nicht, wenn es notwendig ist. Ihre Waffen sind schlicht und gut ausgewogen.

Dieser Dolch ist extrem lang, fast so lange wie ein Kurzschwert. Der Schaft ist durch seine vielen Verzierungen schwer, somit nicht ausgeglichen. Mehr zum Zustechen geeignet als zum Werfen. Der Killer ist nicht nur gut, sondern außergewöhnlich geschickt. Nicht nur mit dem Bogen!“

Cidius fuhr mit seiner linken Hand nachdenklich durch sein Haar.

„Du bewunderst diesen Killer?“

Faendal sah seinen Freund an.

„Mitnichten! Wir haben es mit einem sehr gefährlichen Gegner zu tun, das ist Fakt. Meine Bewunderung bezieht sich nur darauf, dass wir absolut auf der Hut sein müssen. Sonst ereilt uns das selbe Schicksal, wenn wir unbedacht auf seine Füße treten. Könnte sonst böse für uns ausgehen…“

„Da hast Du vollkommen recht. Also ich würde vorschlagen, dass wir uns erst einmal auf die Herkunft dieser Waffe konzentrieren. Vielleicht bringt uns das weiter. Nur frage ich mich, wo wir ansetzen sollen…“


„Wie wäre es schon mal damit: es ist ein Schreckensdolch der Deadra, geschmiedet von Boethiah!“

Faendal, Cidius und der erste Verzauberer fuhren erschrocken herum und blickten verwirrt zum Eingang des Raumes, von wo die tiefe Stimme her kam. Sie sahen einen alten Krieger mit grauem Haar und mit einer schweren nordischen Rüstung bekleidet. Am Türrahmen lehnend und mit verschränkten Armen blickte er mit hellblauen, scharfen Augen zu ihnen herüber.


- XVII -


Die Wachablösung wurde vor einer halben Stunde vollzogen. Auch hatte der Nebel damit begonnen, Falkenring in seinen Besitz zu nehmen. Es wurde ruhig auf der Straße und auf den umliegenden Wegen, die Kleinstadt verwandelte sich in einen schlafenden Ort. Nur die Schritte der Patrouille waren zu hören, die in gewissen Abständen am Jarllanghaus vorbeikamen.


Leise holte der Killer das Amulett aus seiner Jacke. Seine linke Hand streifte sanft über den schwarzen Stein, welcher in eine kunstvoll gefertigten Goldfassung eingearbeitet wurde. Ein seltsames kaltes, kaum sichtbares Leuchten war zu erkennen, welches dem Juwel Leben gab.

Cicero schloss seine Augen, während seine Hände das Amulett umfingen. Ab jetzt sah er alles mit anderen Augen. Sie wanderten vor die Tür, betrachteten den Wachmann, der gelangweilt neben dem Eingang stand. Dann ging es durch die Türe in die Eingangshalle, wo man die Fackeln gelöscht hatte. Nur eine Kerze brannte noch auf einer Kommode und beleuchtete schwach den großen Thronraum des Gebäudes. Niemand war zu sehen, alle schienen schon zu schlafen. Die unsichtbaren Augen wanderten durch den Raum, bis sie eine große Tür zur Rechten erreichten. Auch hier war diese Tür kein Hindernis für die Magie. Der Jarl lag in seinem Bett und schlief.

Mehr brauchte der Killer nicht zu sehen. Er öffnete seine Augen wieder, und der Trancezustand verschwand. Er musste sich nun nur noch um den Wachmann kümmern, aber das sollte eine einfache Angelegenheit sein.


- XVIII -


Cidius war der Erste, der die Fassung wiedererlangte.

„Wer seid Ihr? Starker Auftritt, Nord, aber was mich mehr interessiert ist,...“


„Woher ich diesen Dolch kenne Cidius, Sohn des Generals Tullius? Dazu später mehr. Ich bin Kommandant Engar aus Windhelm und soll Euch unter die Arme greifen, so gut ich kann.“

Der Krieger stieß sich vom Türrahmen ab und ging auf den jungen Mann zu. Er streckte seine rechte Hand aus, ohne zu erwarten, dass ein Kaiserlicher den aufrichtigen Handschlag annahm. Aber er täuschte sich, Cidius ging darauf ein und schlug den Handgruß nicht aus.

„Ein fester Händedruck, das gefällt mir!“

Während der alte Krieger dies sagte, begrüßte er auch die anderen Anwesenden auf die gleiche Art.

„Der Ruf eilt mir wohl voraus! Ich bin mittlerweise auch für jede Hilfe sehr dankbar. Nur habe ich nicht erwartet, das sie von der Seite der Sturmmäntel kommt. Ich bin angenehm überrascht, Engar.“

immer noch verblüfft dreinschauend, betrachtete er den nordischen Krieger genauer. Allein sein sehr bewusstes Auftreten zeigte Cidius, dass Engar mit aufrichtigen Absichten hier erschienen war. Als ob der alte Kommandant seine Gedanken lesen könnte, antwortete er ihm: „Ulfric Sturmmantel ist absolut daran interessiert zu erfahren, wer dahinter steckt. Ich soll Euch ausrichten, dass die Nord nicht daran beteiligt sind oder es selbst angeordnet haben. Und ihr könnt mir glauben, wie besorgt das Oberkommando der Sturmmäntel ist. Wir hatten nichts mit dem Mord am Kaiser zu tun und wir haben auch nichts mit diesen Morden zu schaffen. Dies bat mich Ulfric, klarzustellen. Hier treibt jemand ein böses Spiel mit uns!“

Engar ging zum Tisch und nahm den Dolch in die Hand. Noch bevor Farengar ein Wort des Widerspruchs sagen konnte, hielt der alte Mann die Klinge über eine Fackel. Das Gift verbrannte in rotgrünen Farben.

„Ich habe es geahnt... Ihr hättet es nie herausgefunden, erster Verzauberer. Nichts gegen Euch persönlich, aber da braucht man mehr, als nur das Wissen aus alten Büchern. Das Gift kommt mir sehr bekannt vor. Ich weiß zwar auch nicht, aus welchen Zutaten dieses tödliche Gebräu besteht, aber ich kenne es aus einer Mordserie in Windhelm. Das ist mittlerweile drei Jahre her. Unsere damaligen Versuche der Aufklärung folgten der Spur bis zu einem Anwesen inmitten der Stadt. Das Drachenblut war es dann, der das schreckliche Geheimnis unseres damaligen ersten Verzauberers aufdeckte, und ihn als Mörder entlarvte. Jetzt schmachtet dieser Irre bei uns im Gefängnis. Von ihm könnten wir erfahren, woher er das Gift hatte.“

Engar gab den Dolch Cidius, da nun keine tödliche Gefahr mehr bestand.

„Und woher wisst Ihr, dass es eine Waffe der Deadra ist?“

Cidius hatte nun die Gelegenheit, dieses Schmuckstück von einer Waffe genauer zu betrachten.

„Mein Vater, ehemalige rechte Hand von Ulfric Sturmmantel, wurde mit einem ähnlichen Dolch auf mysteriöse Art ermordet. Da war ich noch ein junger Unterführer einer Einheit. Ich bin seit diesem Tag dem Mörder auf der Spur. Meine damaligen Nachforschungen endeten bei einem geheimen Kult der Boethiah. Dann brach der Bürgerkrieg aus und meine Spur verlief im Sand. Aber mit Eurer Hilfe glaube ich, dass meines Vaters Seele endlich die Ruhe finden kann, die ihm zusteht, damit er endlich in Sovngarde aufgenommen werden kann.“

Cidius blickte in Engars müdes Gesicht. Er mußte wohl hart geritten sein, wenn er erst gestern damit beauftragt wurde, ihn aufzusuchen.

„Ihr seid sehr müde, wie mir scheint. Kommt mit uns in unsere Stammkneipe. Dort könnt ihr Euch erst einmal ausruhen, etwas Essen und Trinken und uns weiter von der ganzen Sache berichten. In meinem Partner Faendal habt Ihr einen Fürsprecher. Auch er glaubt fest daran, dass die Nord zu solchen Mitteln nicht geifen würden.“

Cidius zeigte auf den Waldelf.

„Ich nehme gern Eure Einladung an. In der Tat, die Reise war hart. Aber Ihr seid davon noch nicht überzeugt, oder? Kann ich gut verstehen... Na dann also, wo ist das Etablissement?“

Es war dem Krieger anzusehen, dass er mehr als bereit war, die unheimlichen Katakomben dieser Totenhallen zu verlassen. Man verabschiedete sich von Farengar und Cidius gab auch den Dolch zurück. Es war weit nach Mitternacht, als alle endlich wieder die frische Luft Weißlaufs einatmeten.


- XIX -


Der Wachposten war fast eingenickt, als er ein leises Quietschen hörte. Vor Schreck fiel ihm fast die Fackel aus der Hand. Zuerst glaubte er, sich verhört zu haben, zumindest schenkte er den Geräuschen kaum Beachtung. Doch da war es wieder, diesmal etwas stärker, unheimlicher. Das zweite Mal bescherte ihm eine leichte Gänsehaut. Es klang so, als ob man leise Kreide über eine Tafel quälte. Er blickte nach rechts, doch wegen dem dichten Nebel konnte der Soldat nichts sehen. Auch der Schein der Fackel brachte nicht den gewünschten Erfolg. Er war sich noch unsicher, doch da war wieder dieses eigenartige Geräusch zu hören. Der Soldat zog sein Schwert und bewegte sich langsam auf die rechte Seite des Jarlhauses zu. Die Dunkelheit und der dichte Nebel bildeten eine unheimliche, kaum zu durchdringende Kombination. Der Wachmann konnte nichts erkennen. Er hatte die Ecke erreicht und spähte vorsichtig an ihr vorbei. Niemand war zu sehen. Am Ende des Vorbaus, auf dem er stand, hatte er nichts Verdächtiges bemerkt. Er steckte die Fackel in den Halter am letzten Pfosten und kam langsam vor. Dann kniete er sich nieder und beugte sich vor, um unter den Vorbau zu schauen.

Plötzlich wurde er hart an der rechten Schulter gepackt. Noch bevor er reagieren konnte, sah er etwas Glitzerndes auf sich zurasen. Er spürte zwar den Stich, welcher durch seinen Körper raste und sein Herz durchbohrte. Ob es nun der Schock oder der Unglaube war, er verharrte in seiner knienden Stellung, kein Laut kam aus seinem Mund. Er merkte nur noch, wie er nach vorn kippte, geschickt aufgefangen und unter den Jarlhaus abgelegt wurde. Dann nahm sich der Tod seiner an.

Cicero hatte es genau abgepasst. Schritte von schweren Stiefeln näherten sich seinem Versteck von der Straße aus. Am Klang konnte der Killer erkennen, dass sich die Schritte ruhig vorwärts bewegten, nicht aufgeschreckt oder alarmiert waren. Die Stadtwache hatte nichts Auffälliges bemerkt, auch der nicht mehr vorhandene Posten vor dem Eingang zum Jarl fiel nicht auf. Vielleicht machte dieser seinen Rundgang um das Gebäude, was auch zu seinen Aufgaben gehörte. Der unsichtbare Mann hatte seine Voraberkundigungen sehr gewissenhaft durchgeführt. Cicero wartete ab, bis die Wache vorbei war und sich entfernte. Jetzt hatte er ein kurzes Zeitfenster, bis diese Wache hier wieder vorbeikam. Wenn sie sah, dass der Posten immer noch fehlte, würde sie den Grund wissen wollen und sich der Sache annehmen. Ohne weiteres Nachdenken war er vor der Eingangtür, der bereits in der Hand befindliche Dietrich drehte sich geräuschlos im Schloß. Wie von Geisterhand öffnete sich die Tür, blieb kurz offen und schloß sich wieder. Der Killer war drinnen. Die Dunkelheit nahm ihn auf, denn die letzte Kerze war schon seit einiger Zeit erloschen, aber das war ihm egal. Er hatte sich den Weg zum Schlafgemach von Siddgeir genauestens eingeprägt. Cicero war schnell und leise an der Tür. Auch das Öffnen derselben geschah in einer schnellen und geräuschlosen Art und Weise. Nun war er am Bett angelangt.

Seine Hand fuhr am schlafenden Körper entlang, bis er den Hauch des Atems darauf spürte. Das lautlose Ziehen des Dolches, die Hand auf den Mund des Jarl pressen und Zustoßen gingen in einer einzigen, geschmeidige Bewegung vonstatten. Er spürte zwar das Aufbäumen des Körpers, den sinnlosen Versuch einer Gegenwehr. Aber eine Drehung der Waffe im Herzen des Jarls, ließ den Körper erschlaffen. Der Todeskampf war nur von kurzer Dauer, das Gift auf dem Dolch tat ein Übriges. Cicero wartete noch etwas, bis er die Waffe herauszog. Er war sich absolut sicher, das Jarl Siddgeir nie mehr aufwachen würde. Dann drehte er sich um und verschwand genauso schnell, wie er gekommen war. Es war ihm vollkommen egal, dass er die Tür des Jarllanghauses offen ließ, als er an der Schmiede vorbei in den Wald rannte.

Der Killer schaute sich nicht mehr um. Wie vorausgesehen, hörte er die alarmierenden Rufe der Wachen, aber das ließ ihn kalt. Ein irres leises Kichern kam aus seinem Mund; wieder einmal hatte der unheimliche Killer seinen Auftrag erfüllt, der präzise geplant und schnell durchgeführt wurde. Es schien, dass kein Mensch es vermochte, ihn aufzuhalten. Wenn der Tod jemanden ausgewählt hatte, dann wartete er nicht. Cicero war sein perfektes Werkzeug, der Tod konnte wieder einmal zufrieden sein.

Denn der Tod sucht nicht. Seine Opfer sind festgeschrieben, sind vom Tod gezeichnet. Der Tod kennt den Weg nicht, er überwindet ihn einfach, denn das erbarmungslose Leben weist auf Denjenigen, dessen Zeit gekommen ist.